Alte Jungfer

Alte Jungfer (engl. „spinster“[1] oder „old maid“) ist eine veraltete Bezeichnung für eine Frau, die nie verheiratet war und das übliche Alter für eine Eheschließung überschritten hat. Der Begriff stammt aus einer Zeit, in der Ehelosigkeit für Frauen nicht nur ihren sozialen und ökonomischen Status beeinflusste, sondern sich darüber hinaus auf ihre Stellung im Straf- und Zivilrecht auswirkte.

Das männliche Gegenstück ist der „Hagestolz“, wobei beide Begriffe abwertend konnotiert sind. Das Kompositum Alter Junggeselle wurde ebenfalls genutzt, hatte aber lediglich eine leicht negative Note, während die Bezeichnung alte Jungfer klar diffamierend verwendet wurde.[2]

Als Stereotyp war die alte Jungfer nicht nur Gegenstand von Witzen, sondern war in Liedtexten und literarischen Werken ebenso vertreten wie in Theaterstücken.

Abgrenzung

Von einer alten Jungfer wird angenommen, dass sie keine sexuellen Beziehungen mit Männern unterhalten hat. Dies unterscheidet sie von den sogenannten Gefallenen Mädchen, die unverheiratet schwanger wurden, sowie den ledigen Müttern, die früher auch als uneheliche Mütter[3] bezeichnet wurden. Je nachdem, wo und in welchem geschichtlichen und politischen Kontext diese Frauen lebten, bestand die effektivste Möglichkeit, ihre Ehre wieder herzustellen bzw. einen Gesichtsverlust zu minimieren, darin, sich (möglichst schnell) zu verheiraten.[4]

Dagegen wurde der Begriff Fräulein, bis zu seiner offiziellen Abschaffung im Jahr 1972, für unverheiratete Frauen aller Altersstufen verwendet.[5] Die Unterscheidung zwischen Frau und Fräulein hatte dabei nicht nur eine soziale und gesellschaftliche Bedeutung, sondern war darüber hinaus von rechtlicher Relevanz (unter anderem im Allgemeinen Preußischen Landrecht).[6]

Beschreibungen und wissenschaftliche Perspektiven

In dem von Max Marcuse herausgegebenen Handwörterbuch der Sexualwissenschaft (1923) steht zur Bezeichnung Altjungfernschaft Folgendes:[7]

Jungfrau als Gegensatz zu Frau deutet darauf hin, daß eine Verheiratung des Weibes als Regel angesehen wird. Die [deutsche] Sprache erschließt hier sozialethische Zusammenhänge (im Englischen heißt es spinsters = Spinnerinnen ...). Die Jungfer wird mithin erst zur Altjungfer, wenn ihre Verheiratung nicht mehr in Betracht kommt.(...) Es handelt sich [zudem] um eine Wertbeurteilung aus dem Punkte des aktiven Sexuallebens, das in Kinderbesitz und geregeltem Geschlechtsverkehr seine Norm erblickt und das Altjüngferliche als normwidrig ansieht, wobei aus eben dieser Normwidrigkeit die Sonderbarkeiten des Charakters erwachsen. (...) Sozialpsychologisch tritt eine Hingabe zu Arbeit und Beruf ein. (...) Bei Verkümmerung des spezifisch weiblichen Charakters findet man den Blaustrumpfcharakter in wissenschaftlicher, politischer, gewerkschaftlicher Betätigung.

Publikationen, darunter das 1886 von Marie Calm verfasste Werk Die Sitten der guten Gesellschaft: Ein Ratgeber für das Leben in und außer dem Hause, befassten sich zudem mit der Frage, wie alt eine Frau sein müsse, „um zu den nicht mehr zu verheiratenden, den sogenannten "alten Jungfern" zu gehören?“ Um eine taktvolle Lösung bemüht, schreibt die in der Frauenbewegung aktive Autorin: „Im Allgemeinen denkt man, wenn ein Mädchen die Dreißig überschritten hat, sie werde sich nicht mehr verheiraten; richtiger wäre es wohl, die Zeit anzunehmen, wenn ein Mädchen zugibt, die Dreißig überschritten zu haben.“[8]

Jüngere Publikationen, erwähnen zusätzlich zu den abwertenden Beschreibungen auch den positiven Effekt der thematischen Auseinandersetzung, welche der Begriff im Zuge einer zunehmenden Gleichberechtigung ermöglicht. Das Schreckbild der alten Jungfer, die gegen die gesellschaftliche Norm der verheirateten Frau verstößt, bietet sowohl für historische, soziologische Betrachtungen, als auch für Studien im Rahmen der Geschlechtergeschichte interessante Perspektiven.[9] Zudem bietet die Bezeichnung die Möglichkeit, Phänomene, wie die sogenannte „Torschlusspanik“ historisch herzuleiten.[10]

Die alte Jungfer in literarischen Werken

„Die alte Jungfer“, Marie Nathusius, 1890 (online verfügbar Digitalisat)

Gerade aus dem späten 19. Jahrhundert gibt es eine Reihe von literarischen Bearbeitungen, die das Phänomen der alten Jungfer aufgreifen.

Typischerweise werden Themen wie Einsamkeit, Ablehnung und verpasste Chancen im Zusammenhang mit Altjüngferlichkeit aufgegriffen. Ein Beispiel dafür ist die erste Strophe des Gedichtes Die alte Jungfer von Friedrich Herman Semmig, welches 1876 in Die Gartenlaube veröffentlicht wurde:

Sie sitzt am Fenster, still ihr Haupt,
Das bleiche, drückend in die Hand;
Ihr Auge, kalt und glanzberaubt,
Blickt vor sich hin starr, unverwandt.
Ihr scheint im fröhlichsten Gewimmel
Die Welt ein schweigend wüstes Meer
Mit farblos nebelödem Himmel,
Gleich ihrem Herzen einsam, leer.

Friedrich Herman Semmig[11]

Auch das Gedicht Die alte Jungfer von Johanna Ambrosius verdeutlicht bereits in den ersten beiden Zeilen, dass es sich um eine tragische Figur handelt, die mit dem Hohn und Spott ihrer Mitmenschen zu rechnen hat. Es beginnt mit den Worten:

Da geht sie hin, verspottet und verlacht,
Die noch am Krankenbett die Nacht durchwacht,
Und jeder höhnt, der flüchtig ihr begegnet:
Der ist ihr Glücksfeld auch einmal verregnet!

Die Beobachtung, dass es unverheiratete Frauen gibt, die sich einem Haustier zuwenden, machte Wilhelm Busch in seiner 1895 veröffentlichten Geschichte Der Schmetterling, wo er die Situation aus der Sicht eines Hundes schildert:

„Ich lief bis zum nächsten Städtchen, wo mich eine alte Jungfer vermittels Zucker und zärtlichen Zungenschnalzens zu sich hereinlockte. Hier lebte ich in Überfluß. Sie wusch und kämmte mich, sie knüpfte mir ein rosa Bändchen um, sie häkelte mir einen himmelblauen Paletot, sie nannte mich unter tausend Küssen ihren süßen, einzigen Herzensfreund. Den ganzen Tag lag ich auf dem Kanapee, und des Nachts durfte ich sogar als Wärmflasche zu ihren jungfräulichen Füßen liegen.“

Weitere literarische Bearbeitungen (Auswahl):

Beispiele aus den Bereichen Bühne und Film

' 1935: The Old Maid, Theaterstück von Zoë Akins (Adaption von Edith Whartons gleichnamiger Novelle)

Literatur

  • Kathrin Baumgarten: Hagestolz und alte Jungfer. Entwicklung, Instrumentalisierung und Fortleben von Klischees und Stereotypen über Unverheiratetgebliebene, Dissertation Waxmann, Münster, 1997, ISBN 978-3-893-25514-6
  • Marie Calm: Die Sitten der guten Gesellschaft: Ein Ratgeber für das Leben in und außer dem Hause. Erstausgabe: 1886, Link zum Volltext siehe unten, Neuauflage, Directmedia Publishing, 2011: ISBN 978-3-843-06769-0
  • Bärbel Kuhn: Familienstand ledig. Ehelose Frauen und Männer im Bürgertum 1850–1914., Böhlau Verlag, Köln/Weimar 2000, ISBN 978-3-412-12999-6
  • Max Marcuse (Hrsg.): Handwörterbuch der Sexualwissenschaft. Enzyklopädie der natur- und kulturwissenschaftlichen Sexualkunde des Menschen. Marcus und Weber, Bonn 1923; 2., stark vermehrte Auflage ebenda 1926. Neuausgabe der 2. Auflage: Einleitung von Robert Jütte. De Gruyter, Berlin / New York 2001.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Max Marcuse: Handwörterbuch der Sexualwissenschaft. Marcus und Weber, Bonn 1923, S. 20.
  2. Bärbel Kuhn: Familienstand ledig. Böhlau Verlag, Köln/Weimar 2000, ISBN 978-3-608-50480-4, S. 5.
  3. Max Marcuse: Großstadt-Dokumente, Band 27. Uneheliche Mütter. Verlag Hermann Seemann, 2004, ISBN 978-3-89244-750-4, S. 46.
  4. Sybille Buske: Fräulein Mutter und ihr Bastard. Wallstein Verlag, 2004, ISBN 978-3-89244-750-4, S. 46.
  5. 50 Jahren wurde „Fräulein“ aus dem behördlichen Sprachgebrauch verbannt (16. Januar 1972) von 22. November 1921 Freie Universität Berlin, abgerufen am 6. September 2025.
  6. Bärbel Kuhn: Familienstand ledig. Böhlau Verlag, Köln/Weimar 2000, ISBN 978-3-608-50480-4, S. 96.
  7. Max Marcuse: Handwörterbuch der Sexualwissenschaft. Marcus und Weber, Bonn 1923, S. 20–22.
  8. Marie Calm: Die Sitten der guten Gesellschaft: Ein Ratgeber für das Leben in und außer dem Hause. Directmedia Publishing, 2011, ISBN 978-3-8430-6769-0, S. 93.
  9. Katrin Baumgarten: Hagestolz und Alte Jungfer. Waxmann, Münster 1997, ISBN 978-3-89325-514-6, S. 5–10.
  10. Katrin Baumgarten: Hagestolz und Alte Jungfer. Waxmann, Münster 1997, ISBN 978-3-89325-514-6, S. 36.
  11. Friedrich Herman Semmig: Die alte Jungfer. Wikisource, abgerufen am 6. September 2025.
  12. Die alte Jungfer von Johanna Ambrosius LiteratPro, abgerufen am 6. September 2025.
  13. Wilhelm Busch: Der Schmetterling. wilhelm-busch.de, abgerufen am 6. September 2025.