Privativ

Der Privativ (von lateinisch prīvāre „berauben“) bezeichnet ein Wortbildungs-Affix eines Adverbs, Verbs, Nomen oder Adjektivs und drückt semantisch das Fehlen oder Weglassen der Basis (des zugehörigen Wortstamms) aus, eventuell auch seine Negation.

Im Deutschen

Mehrere Präfixe können hier den Privativ darstellen, nämlich ent-, un-, miss- und de- (zumeist bei entlehnten Verben).

  • demaskieren
  • entfärben
  • Misstrauen
  • Untreue

Im letzten Beispiel kann man gut erkennen, dass neben Verben sowohl Nomen, als auch Adjektive und Adverbien Privative enthalten können:

  • Adjektiv: der untreue Ehemann
  • Adverb: Die Ritterschaft verhielt sich untreu ihrem König gegenüber.

Auch Suffixe können Privative sein, im Deutschen sind das die Suffixe -los, -frei und -leer

  • wertlos
  • inhaltsleer
  • zuckerfrei

Worte, die aus dem Latein oder der Griechischen Sprache stammen, haben die dort existierenden Privative in-, il-, ir- (assimilative Verschiebung des n zum l oder r, Präfixes aus dem Latein) und a-, an- (Alpha privativum des Griechischen) direkt übernommen:

  • illegitim
  • inkonsistent
  • irrelevant
  • apathisch
  • Anästhesie

Diese Präfixe, genauso wie die deutschen ent- und un- und auch die im Sanskrit vorhandenen अ- (a-) und अन्- (an-) stammen alle von einem gleichbedeutenden Präfix *n̥- aus der Indogermanischen Ursprache ab.

Abgrenzung

Die Präfixe im Deutschen sind aber nicht immer Privative. So ist zum Beispiel das Wort entflammbar mit dem Präfix ent- verbunden, hier hat dieses Präfix jedoch eine verstärkende und nicht negierende oder weglassende Bedeutung und ist somit kein Privativ.

Andere Sprachen

Esperanto

Esperanto ist eine Kunstsprache, die strategisch über Präfixe und Suffixe semantische Inhalte transportiert. Daher finden sich auch klare Vorgaben zur Bildung eines Privativs durch den Einsatz zweier Präfixe: sen- („ohne“) und mal- („Gegenteil/Negation von“):

  • senfarbigi „entfärben“
  • malbona „schlecht“ (wörtlich: „un-gut“)

Turksprachen

Die Sprachen der Türkischen Sprachfamilie haben ein Suffix für das Privativ, das je nach Vokalharmonie variiert.

Baschkirische Sprache

Im Baschkirischen gibt es ein Privativsuffix +hEҙ. Der Großbuchstabe hier zeigt den Buchstaben an, der sich nach Vokal- oder Konsonantenharmonie unterscheidet und daher je nach Vokalharmonie in folgenden Varianten auftritt: -һеҙ, -һыҙ,-һоҙ und -һөҙ. Diese übersetzt man ins Deutsche meist mit -los oder ohne ..., un-, miss- und sie sind die Antonyme von -лЕ „mit ...“ und den vier Varianten -лы, -ле, -ло, -лө.

  • эшһеҙ „arbeitslos“
  • һөтһөҙ кофе „Kaffee ohne Milch“
  • балһыҙ сәй „Tee ohne Honig“
  • боросһоҙ риҙыҡ „pfefferlose Speisen“

Türkische Sprache

Im Türkischen existiert das Privativ als Suffix in den Formen -siz, -sız, -suz und -süz. Hier sind sie auch wieder Antonyme zu -li, -, -lu und -.

  • șekersiz „zuckerfrei“
  • tuzsuz „salzlos“

Tupí-Guaraní-Sprachen

Guaraní

In Guaraní gibt es das Privativ ebenfalls als Suffix, nämlich als -o und -.

  • ojetavy'o „er lernt“ (wörtlich „er-sich-Dummheit-entfernen“)[1]
  • y'ỹ „Dürre“ (wörtlich „Wasserlosigkeit“ bzw. „drought, dryness“)[2][3]

Uralische Sprachen

Ein Privativsuffix ist auch in uralischen Sprachen, wie dem Finnischen, Estnischen, Samischen und Ungarischen zu finden.

Estnisch

Im Estnischen lautet die Endung für den Privativ -tu und bildet dort karitive Adjektive. Es wird ins Deutsche mit -los übersetzt.

  • kaitsetu „schutzlos“ (aus kaitse „Schutz“)

Finnisch

Im Finnischen lautet die Endung für den Privativ -ton oder -tön abhängig von der Vokalharmonie. Es wird ins Deutsche mit -los übersetzt.

  • avuton „hilflos“ (aus apu „Hilfe“)
  • nimetön „anonym“ (aus nimi „Name“)

Samisch

Im Nordsamischen lautet die Endung für den Privativ -heapme.

  • bargguheapme „arbeitslos“ (aus bargu „Arbeit“)[4]
  • lusttuheapme „fad“[4][5] (aus lus'to „Lust, Vergnügen“)[5]

Ungarisch

Im Ungarischen tritt die Endung für den Privativ in einigen Varianten auf, und zwar als -tlen, -tlan (-etlen, -atlan).[6] Das Suffix ist häufig als Antonym des Suffixes -s nutzbar.

  • hibátlan „fehlerlos“ - Antonym von hibás „fehlerhaft“ (aus hiba „Fehler“)
  • szótlan „wortlos“ (aus szó „Wort“)
  • nőtlen „ledig“ - Antonym von nős „verheiratet“ (aus „Frau“)

Allerdings kann das Suffix auch an verbalen Wortstämmen verwendet werden, bildet dann aber wie üblich Adjektive.

  • ismeretlen „unbekannt“ (aus ismer „kennen“)

Literatur

Allgemein
  • Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprachen. J.B.Metzler, Stuttgart, Weimar 1993, ISBN 3-476-00937-8, Privativ, S. 484.
  • Brigitte Bartschat, Rudi Conrad, Wolfgang Heinemann, Gerlinde Pfeifer, Anita Steube: Lexikon sprachwissenschaftlicher Termini. VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1985, Privativ, S. 187 f.
Einzelsprachen
  • Margarete I. Ersen Rasch: Baschkirisch. Lehrbuch für Anfänger und Fortgeschrittene. Harrassowitz, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-447-05730-1, S. 66, 169.
  • Hasan Șakır: Grammatik kurz & bündig Türkisch. PONS GmbH, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-12-561149-8, S. 103.
  • Cornelius Hasselblatt: Grammatisches Wörterbuch des Estnischen. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-447-05856-8, S. 95–96.
  • Martin Putz: Finnische Grammatik. LULU ENTREPRISES INC., Morrisville 2008, ISBN 978-1-4092-0343-8, S. 39.
  • József Tompa: Ungarische Grammatik. VEB Verlag Enzyklopädie, Leipzig 1972, S. 34, 63, 112, 125, 128, 168, 194.
  • Zoltán Bánhidi, Zoltán Jókay, Dénes Szabó: Lehrbuch der ungarischen Sprache. Tankönyvkiadó - Verlag für Lehrbücher, Budapest 1969, S. 203.

Einzelnachweise

  1. Wolf Lustig: Mba'éichapa oiko la guarani? – Ein Portrait des guaraní paraguayo (Memento vom 6. Dezember 2004 im Internet Archive). Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 1995.
  2. Sebastian Nordhoff: Nomen/Verb-Distinktion im Guarani. Hrsg.: Universität Köln. 17. Oktober 2012, ISSN 1615-1496, S. 43 (uni-frankfurt.de [abgerufen am 8. Juni 2018]).
  3. A. Scott Britton: Hippocrene Concise Dictionary Guaraní-English, English-Guaraní. Hippocrene Books Inc., 2005, ISBN 0-7818-1066-3, S. 115.
  4. a b Nach Kauderwelsch Band 192, Samisch für Lappland, 1. Auflage 2005, Seiten 87 (bargguheapme), 128 (lusttuheapme), 175 (bargu)
  5. a b Nach der Suche auf Álgu database: Etymological database of the Saami languages, am 16. September 2025
  6. Der Autor József Tompa nennt es auf der Seite 125 deprivatives bzw. karitives Bildungssuffix.