Pierre Dubreil

Pierre Dubreil (um 16841732) war Tänzer und Tanzmeister, der ab 1715 als Hoftanzmeister am Münchner Hof unter Kurfürst Maximilian II. Emanuel und seinem Sohn Karl Albrecht diente. Seine Tanzsammlungen stellen den größten erhaltenen Bestand originärer Tänze seiner Zeit im deutschsprachigen Raum dar und sind ein bedeutendes Zeugnis der höfischen Tanzkultur des frühen 18. Jahrhunderts.

Leben

Herkunft

Pierre Dubreil als Scaramouche, Kupferstich von Henri Bonnart, ca. 1710

Pierre Dubreils stammte vermutlich aus den spanischen Niederlanden. Es existiert zwar ein Taufeintrag vom 9. November 1684 in Brüssel für einen „Petrus de brÿel“, dessen Identität mit dem späteren Münchner Hoftanzmeister ist jedoch ungesichert. Für die Schreibweise seines Nachnamens finden sich zahlreiche Varianten – de brÿel ,Du Breüil, Du Breuil, Dubreville oder Dubreüille. Zusätzlich gab es aufgrund der Namensähnlichkeit in der Forschungsliteratur oft Verwechslungen mit seinem Bruder Jean Pierre, der ebenfalls als Tanzmeister tätig war.[1]

Frühe Karriere in Paris, London und Brüssel

Seine Laufbahn begann 1702 als Tänzer an der Pariser Académie royale de musique, wo er in den „Fragments de Monsieur de Lully“ als Scaramouche auftrat, die zu seiner Paraderolle werden sollte. In dieser wurde er auch in einem bekannten Stich von Henri Bonnart dargestellt. Als Ensembletänzer ist er zwischen 1702 und 1703 und 1707–1709 in Paris nachweisbar. Vermutlich ging er dann nach Brüssel, wo er spätestens ab 1711 am Théâtre de la Monnaie arbeitete. 1711 reiste Dubreil für ein vierwöchiges Gastspiel nach London, wo er unter anderem in Händels Rinaldo und Johann Jacob Heideggers Almahide mitwirkte. Sein Londoner Auftritt hinterließ einen so nachhaltigen Eindruck, dass noch Monate später andere Tänzer mit Verweis auf Dubreils exzellente Scaramouche-Darbietung angekündigt wurden. Nach diesem Gastspiel kehrte er vermutlich nach Brüssel zurück, wo er bis 1715 tätig war und 1715 als Pate bei der Taufe einer Schwester der später berühmten Tänzerin Marie-Anne Camargo fungierte.

Dienst am Münchner Hof

Kurfürst Max Emanuel war während seiner Zeit als Generalstatthalter der Spanischen Niederlande (1692–1701) und später im französischen Exil (1708–1715) ein großer Liebhaber der französischen Musik und des Musiktheaters. Anlässlich seiner Rückkehr nach München verpflichtete Max Emanuel am 1. April 1715 eine Theatergruppe, zu der neben fünfzehn Schauspielern auch Pierre Dubreil, sein Bruder Jean Pierre, und die Tänzerin Marie Le Fevre gehörten. Alle Mitglieder erhielten eine bemerkenswert hohe Jahresbesoldung, die deutlich über dem Gehalt des bereits seit 1683 dienenden Hoftanzmeisters Franz Rodier lag.

Pierre Dubreil machte bereits in kürzester Zeit Eindruck auf den Kurprinzen Karl Albrecht und wurde rasch zum Tanzmeister und Kammerdiener befördert. Die Ernennung zum Kammerdiener verschaffte ihm privilegierten Zugang zu den Privatgemächern des Kurprinzen und die offizielle Befugnis zur Organisation höfischer Festlichkeiten, verbunden mit einem ansehnlichen Zusatzgehalt. Die finanzielle Lage des kurfürstlichen Hofes war jedoch prekär und es war keine Seltenheit, dass das Dienstpersonal jahrelang auf die Auszahlung der Besoldung warten musste, so auch Pierre Dubreil, der die vollständige Auszahlung seines Gehalts erst 1727 durchsetzen konnte.

Aufgabenbereiche

Titelblatt von La Hessoise Darmstatt, 1718

Pierre Dubreil begann am Münchner Hof als Tänzer und wurde am 1. Oktober 1715 zum Hoftanzmeister, Kammerdiener und Directeur des Ballets de la Cour ernannt. In dieser Funktion unterrichtete er nicht nur Kurprinz Karl Albrecht, sondern auch dessen Brüder, Kammer- und Hofpersonal sowie die Grenadiere der Hofgarde. Seine Kollegen François Rodier und Johann Ferdinand Le Comte teilten sich zunächst das Amt, bis Dubreil Rodier 1716/17 als ersten Tanzmeister ablöste und Le Comte nach dessen Tod 1717 allein nachfolgte; 1720 wurde sein Bruder Jean Pierre ebenfalls Tanzmeister.

Zusammen mit dem Hofkapellmeister Pietro Torri war Dubreil für die musikalische und tänzerische Gestaltung von Opernaufführungen zuständig. Unter anderem choreographierte er Tanzszenen und organisierte Kostüme für Festopern wie Merope (1719), Adelaide (1722) und Andromaca (1720), die im Salvatortheater aufgeführt wurden. Wahrscheinlich schrieb er auch selbst die Musik zu vielen seiner Choreographien.

Dubreils Aufgaben als Choreograph und Tanzmeister beinhalteten auch die Gestaltung der Karusselle und deren Pferdeballets. Karusselle gehörten zu den aufwendigsten Formen höfischer Festkultur, denen häufig ein Motto oder mythologisches Thema zugrunde lag und die meist einen prunkvollen Aufzug, Turnierwettbewerbe und Pferdeballets umfassten.

Schließlich verantwortete Dubreil auch die Kostümierung aller Festlichkeiten: Er wählte Stoffe, organisierte Schneider und überwachte Lieferungen. Seine Entwürfe umfassten dabei Opern-, Theater- und Turnierkostüme – von französischen Modegewändern bis zu „Nationen“-Maskeraden, wie sie im „Turnierbuch des Kurprinzen Karl Albrecht“[2] dargestellt sind.

Dubreils Wirken verband Tanz, Musik, Dekor und Reitkunst zu eindrucksvollen höfischen Spektakeln, die den Münchner Hof als kulturelles Zentrum festigten.

Reisen und Private Verhältnisse

Während seiner Münchner Dienstzeit unternahm Dubreil zwei Reisen, deren Ziele und Zwecke jedoch unklar bleiben. Die erste Reise im Frühjahr 1722 gemeinsam mit seinem Bruder wurde aus dem regulären Sold finanziert und war vermutlich privater Natur. Eine zweite Reise erfolgte 1731, nach deren Rückkehr Ende Oktober Jean Pierre zum ersten Mal als Choreograph am Münchner Hof auftrat.[3]

Pierre Dubreils Privatleben bleibt weitgehend im Dunkeln – er war vermutlich verheiratet, da seine Frau 1731 als Patin bei der Taufe seiner Nichte erwähnt wird, doch ist weder die Eheschließung noch der Tod der Gattin in den Münchner Kirchenbüchern verzeichnet. Die Ehe scheint kinderlos gewesen zu sein. Nach der Rückkehr von einer Reise 1731 zog er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands zu seinem Bruder.

Tod und Vermächtnis

Trotz seiner angegriffenen Gesundheit choreographierte Pierre Dubreil noch die Tänze für die Karnevalsoper Scipione nelle Spagne, bevor er im Juni 1732 verstarb. Da der Hoftanzmeister nur wenig Geld hinterließ, musste sein Bruder den Hof um finanzielle Unterstützung für die Beerdigung bitten, die am 21. Juni 1732 auf dem Friedhof der kurfürstlichen Hofkirche St. Kajetan (Theatinerkirche) stattfand. Das tänzerische Erbe Pierre Dubreils wurde durch seinen Bruder und dessen Nachkommen am Münchner Hof fortgeführt.

Choreographisches Schaffen

1. Blatt von La Bavaroise Contredanse, ca. 1715

Im Gegensatz zu vielen seiner Berufsgenossen ist Pierre Dubreils choreographisches Werk immerhin fragmentarisch überliefert, so dass die erhaltenen Quellen einen aussagekräftigen Einblick in seine Tätigkeit als Compositeur des Ballets de la Cour zumindest für die Hofbälle bieten. Zum Namenstag des Thronfolgers, Karl Albrecht, gab er am 4. November 1715 oder 1716 seinen ersten Druck mit dem Titel La Bavaroise heraus: eine Suite aus einem sich abwechselnden Gigue-artigen, in 6/4 stehenden Teil und einem Menuet wird zuerst zu einer kunstvollen danse à deux in Beauchamp-Feuillet-Notation und anschließend für eine Contredanse für mehrere Paare verwendet. 1717 überreichte er Karl Albrecht eine von ihm selbst geschriebene Handschrift, die weitere Contredanses enthält, darunter zuerst einige Titel, die auf die Italienreise des Prinzen anzuspielen scheinen (La Venitienne, La Milanoise, La Florentine). Nach weiteren Contredanses finden sich zu Ende des Bandes drei danses à deux, wieder la Bavaroise, dann la Palatine und abschließend la Hessoise (alle drei zuvor schon mit gleicher Musik als Contredanses im Band). Am 1. Mai 1718 folgte die Quelle La Hessoise Darmstat, eine Manuskriptsammlung, die die gleichen drei danses à deux (jeweils mit ihren Contredanses zur gleichen Musik) und sich teilweise mit der Münchner Zusammenstellung überschneidende Contredanses enthält. Im Vorwort widmete Dubreil die Sammlung unter Hinweis auf ihre frühere Bekanntschaft dem Erbprinzen Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt – womöglich als Bewerbung an den Darmstädter Hof. Schließlich fertigte Dubreil zum Geburtstag Karl Albrechts am 6. August 1730 die Zusammenstellung La Carlstadt[4] eine danse à deux mit den Teilen Muzette (2/2), Menuet gracieux (3/4) und Bourrée (2/2) und der Contredanse La Vandangeuse an. Eine weitere Tanzquelle scheint verloren gegangen zu sein.

Dubreils insgesamt 17 Contredanses gehören zu den aufwändigeren Beispielen im Repertoire der in Notation erhaltenen Contredanses, davon zwölf Gassentänze mit Fortschritt (Longways), eine Choreographie vom Cotillon-Typ, sowie eine Sonderform.[5] Wie in den danses á deux arbeitete er dabei häufiger mit Taktwechseln. Auffällig sind auch besondere, an die Allemande erinnernde, Armhaltungen.

Neben diesen Tanzsammlungen dokumentieren zwei ausführliche Pferdeballette Dubreils vielseitiges Wirken als Hoftanzmeister und die enge Verbindung von Tanz und Reitkunst im Barock. Mit dem Carousel comique von 1721 und dem Carousel des quatre saisons von 1722 sind präzise farbige Zeichnungen zweier solcher Pferdeballette von Dubreil in einer der von Feuillet etablierten Contredanse-Notation ähnelnden Aufzeichnung erhalten: 1722 etwa interagierten die aufwändig in vier Farben kostümierten Reitergruppen – quadrilles genannt – in verschiedensten, zum Ende hin in immer größeren Formationen[6].

Werkverzeichnis

Literatur

Einzelnachweise

  1. Carola Finkel: Pierre Dubreil - Biographie und kritische Edition. In: tanz | dokumente. Band 1. Farnk & Timme, Berlin 2020, ISBN 978-3-7329-0677-2, S. 15 f.
  2. Anonym: Turnierbuch de Kurprinzen Karl Albrecht. 1734, S. 52 ff. (digitale-sammlungen.de – 1717-1734).
  3. Carola Finkel: Pierre Dubreil – Biographie und kritische Edition. In: tanz | dokumente. Band 1. Frank & Timme, Berlin 2020, ISBN 978-3-7329-0677-2, S. 14 f.
  4. Der Name spielt möglicherweise auf die nie verwirklichte "Carlstadt" am Schlossrondell des Schloss Nymphenburg an, siehe Schloss Nymphenburg
  5. Jørgen Schou-Pedersen: Dubreil's Contre Dances. In: On Common Ground 3: John Playford and the English Dancing Master, 1651. Historical Dance Society, Cambridge 2001, S. 130-35 (org.uk [PDF]).
  6. Carola Finkel: A dancing master for the horses – Pierre Dubreil and the equestrian ballets at the Bavarian court. In: Georgina Boyes (Hrsg.): Terpsichore and her Sisters: The Relationship between Dance and other Arts. Early Dance Circle, Cambridge 2017, S. 189–194 (earlydancecircle.co.uk [PDF]).