Pandektengasse

Blick von der Groner Straße nach Norden in die Pandektengasse. Links der Neubau Groner Straße 48, rechts Kaufhaus Karstadt (2025)

Die Pandektengasse ist die schmalste Straße der Innenstadt von Göttingen in Südniedersachsen. Sie ist unregelmäßig etwa 4 bis 7 m breit und verläuft auf rund 110 m Länge in Nord-Süd-Richtung zwischen Johannisstraße und Groner Straße.

Geschichte und Beschreibung

Ältere Bezeichnungen

Der zunächst namenlose, 1403 nur Vicus[1] (lateinisch für Gasse), dann 1532 Stinckende Gaßen[2] und 1731 Kleine Gaße[2] genannte Verbindungsweg teilt den größten Baublock der Altstadt und dürfte ursprünglich als Feuergasse gedient haben. Seit dem Spätmittelalter war die Gasse an der Westseite mit 4 Buden besetzt, die später dem Nachbargrundstück zugeschlagen wurden.[2] Noch 1734 war die Gasse in einer Stadtbeschreibung namenlos und wurde so beschrieben: „Ein enges Gäßchen von der Johannis- auf die Grohnder Gasse durch, welches unter diejenigen eben nicht zu zählen ist, so die Stadt zieren helffen.“[3] Ein Stadtplan von 1753 nannte die Gasse Heidelbachs Ecke.[4] Die Bezeichnung Pandecten Gäsgen erscheint erstmals in einem Stadtplan von 1812[2]; im Göttinger Adressbuch taucht die Bezeichnung Pandektengasse ab 1875 auf.[1]

Herkunft der Bezeichnung Pandektengasse

Der einzigartige Name stammte aus dem Göttinger Studentenjargon[5] und rührt von den lateinischen Pandekten, d. h. Auszügen aus Werken der klassischen römischen Juristen. Der Name deutet noch heute darauf hin, dass im frühen 19. Jahrhundert bis etwa 1850[3] eine Scheune an dieser Gasse als provisorisches Auditorium (Hörsaal) für mindestens 300 Hörer[3] zu Vorlesungen über römisches Recht u. a. von den Universitätsprofessoren Karl Friedrich Eichhorn, Georg Arnold Heise und Georg Jakob Friedrich Meister für Vorlesungen über römisches Recht diente.[3][6][7][8] Heinrich Heine soll in seiner Göttinger Studentenzeit im Wintersemester 1820/21 das spöttische Gerücht verbreitet haben, dass in der Pandektengasse nachts ein Geist umgehe: Ein Student, der sich in Meisters Vorlesung zu Tode gelangweilt habe, komme nicht zur Ruhe.[9][8]

Bebauung

Die historische Randbebauung der Pandektengasse ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beidseits nach und nach abgebrochen und vollständig durch Neubauten ersetzt worden, beginnend 1956[10] auf der Ostseite durch eine Erweiterung des Karstadt-Kaufhauses. Am südlichen Gasseneingang stand das bedeutende Eckgebäude Groner Straße 48[11], ein aus dem 16. Jahrhundert[12] stammendes Fachwerkhaus, das im rückwärtigen Bereich eine Kemenate[13][14] aufwies. Im Wintersemester 1805/06 wohnte in diesem Haus während seiner Göttinger Studentenzeit der spätere „Turnvater“ Jahn, woran seit 1913 (auch wieder am Neubau der der Zeit um 1980) eine Göttinger Gedenktafel erinnert.[15] Der Gebäudeabriss 1979[12] konnte trotz Protesten u. a. von Göttinger Kunsthistorikern[16] und des Niedersächsischen Heimatbundes[17] nicht verhindert werden. Teile des geborgenen Fassadenfachwerks wurden sogleich 1979 beim Neubau des Gebäudes Johannisstraße 25 / Ecke Johanniskirchhof – in Sichtweite der Pandektengasse – wiederverwendet.

21. Jahrhundert

In den 2010er Jahren wurde die Pandektengasse modern neu gepflastert, wobei man die großstädtischen Granitplatten der nebenan ebenfalls erneuerten Groner Straße[18] verwendete. Gleichwohl ist die Gasse immer wieder Ort von Verunreinigungen und Graffiti.[19]

Das Befahren der Pandektengasse ist durch das „Verkehrszeichen 250“ für Fahrzeuge aller Art verboten.

Literatur

  • Otto Deneke: Die Pandekten-Gasse. In: Göttinger Leben (Beilage zum Göttinger Tageblatt), Jg. 9, 1935, Nr. 76 vom 16. November 1935, S. 1–3, mit historischer Abbildung der Gasse.
  • Heinz Motel: Pandektengasse. Momentaufnahme zur Stadtgeschichte. In: Göttinger Jahresblätter, Jg. 14, 1991, S. 51–58.
  • Heinrich Troe: Straßennamen und Straßennetz der Stadt Göttingen im späten Mittelalter. In: Dietrich Denecke, Helga-Maria Kühn (Hrsg.): Göttingen, Geschichte einer Universitätsstadt. Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1987, ISBN 3-525-36196-3, S. 107–160, hier S. 135, Nr. 29.
  • Vorlesungen in der „Pandektenscheune“, in: Alfred Oberdiek: Göttinger Universitätsbauten. Die Baugeschichte der Georg-August-Universität. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Göttinger Tageblatt, Göttingen 2002, ISBN 3-924781-46-X (Digitalisat (Memento vom 30. Januar 2023 im Internet Archive)), S. 36, mit historischer Abbildung der Gasse.
Commons: Pandektengasse – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Gerd Tamke, Rainer Driever: Göttinger Straßennamen. 3. neu überarbeitete, wesentlich erweiterte Auflage, Göttingen 2012 (= Veröffentlichung des Stadtarchivs Göttingen, 2). Digitalisat (PDF) im Internet auf stadtarchiv.goettingen.de, abgerufen am 16. Februar 2025 (ohne Seitenzählung, PDF-Seite 165).
  2. a b c d Heinrich Troe: Straßennamen und Straßennetz der Stadt Göttingen im späten Mittelalter. In: Dietrich Denecke, Helga-Maria Kühn (Hrsg.): Göttingen, Geschichte einer Universitätsstadt. Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1987, ISBN 3-525-36196-3, S. 107–160, hier S. 135, Nr. 29.
  3. a b c d Zitiert nach Otto Deneke: Die Pandekten-Gasse. In: Göttinger Leben (Beilage zum Göttinger Tageblatt), Jg. 9, 1935, Nr. 76 vom 16. November 1935, S. 1–3, hier S. 2.
  4. Grundriß der Stadt Göttingen nach ihren Straßen, 1753. Gezeichnete Karte im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover, Signatur: Kartensammlung Nr. 22 d Göttingen 25 pm. (Digitalisat auf arcinsys.niedersachsen.de, abgerufen am 16. Februar 2025) – Hinweis: Der historische Stadtplan ist geostet.
  5. Otto Deneke: Die Pandekten-Gasse. In: Göttinger Leben (Beilage zum Göttinger Tageblatt), Jg. 9, 1935, Nr. 76 vom 16. November 1935, S. 1–3, hier S. 2.
  6. Heinz Motel. Pandektengasse. Momentaufnahme zur Stadtgeschichte. In: Göttinger Jahresblätter, Jg. 14, 1991, S. 51–58, hier S. 56.
  7. Wilhelm von Bippen: Georg Arnold Heise. Mittheilungen aus dessen Leben. Schwetschke & Sohn, Halle 1852, S. 189. (Google Books)
  8. a b Volker Ebersbach: Der träumerische Rebell Heinrich Heine. Edition Digital, Pinno 2021, ISBN 978-3-96521-588-7, S. 28. (Google Books)
  9. Skizzen über Heinrich Heine. Wien / Pest / Leipzig 1882, S. 34 f. (Google Books)
  10. Baustellenfoto von 1956 auf guenther-einrichten.de, abgerufen am 16. Februar 2025.
  11. Abbildung: Jahnhaus Groner Straße 48 (zerstört) auf artsandculture.google.com, abgerufen am 18. Februar 2025.
  12. a b Betty Arndt, Jan Volker Wilhelm: Mittelalterliche Steinwerke in Göttingen – eine Bestandsaufnahme. In: Steinwerke – ein Bautyp des Mittelalters? Vorträge des Kolloquiums Steinwerke vom 2. bis 4. März 2006 in Osnabrück. Hrsg. Michael James Hurst, Bruno Switala, Bodo Zehm. Rasch-Verlag, Bramsche 2008, ISBN 978-3-89946-110-7, S. 127.
  13. Irma Freise: Das Haus Groner Straße 48 in Göttingen. In: Göttinger Monatsblätter, Jg. 2, 1975, Ausgabe 22 von Dezember 1975, S. 10.
  14. Betty Arndt, Jan Volker Wilhelm: Mittelalterliche Steinwerke in Göttingen – eine Bestandsaufnahme. In: Steinwerke – ein Bautyp des Mittelalters? Vorträge des Kolloquiums Steinwerke vom 2. bis 4. März 2006 in Osnabrück. Hrsg. Michael James Hurst, Bruno Switala, Bodo Zehm. Rasch-Verlag, Bramsche 2008, ISBN 978-3-89946-110-7, S. 127 f., u. a. mit Bestandsplan von 1922.
  15. Walter Nissen: Göttinger Gedenktafeln. Ein biographischer Wegweiser. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1962, S. 87 f.
  16. Kulminierend in Herwarth Röttgen: Eigentum verpflichtet! Warum das Haus Groner Straße 48 erhalten bleiben sollte. In: Göttinger Tageblatt, 21. Mai 1976.
  17. Die Rote Mappe 1977 des Niedersächsischen Heimatbundes. Rückblick und Ausblick, vorgetragen durch den Vorsitzenden, Herbert von Geldern, beim 58. Niedersachsentag in Wolfenbüttel in der Festversammlung am Sonnabend, 8. Oktober 1977, S. 24. (Digitalisat auf niedersaechsischer-heimatbund.de, abgerufen am 18. Februar 2025)
  18. Ausbau Groner Straße Göttingen. In: rst-bau.de. Abgerufen am 16. Februar 2025.
  19. Das sind die schmutzigen Ecken in der Göttinger Innenstadt. In: goettinger-tageblatt.de. 9. September 2023, abgerufen am 16. Februar 2025.

Koordinaten: 51° 31′ 56,8″ N, 9° 55′ 58,4″ O