Lina Haag
Lina Haag (geb. Jäger, amtlich Pauline[1]; * 18. Januar 1907 in Hagkling, damalige Gemeinde Altersberg, Württemberg[2]; † 18. Juni 2012 in München[3]) war eine deutsche Politikerin (KPD, DKP) und Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime.
Leben
Lina Jägers Mutter arbeitete als Magd, ihr Vater als Arbeiter. Er gehörte der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) an und brachte seine Tochter in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD).[4] Nach dem Besuch der Volksschule war sie Hilfsarbeiterin in verschiedenen Fabriken. Im KJVD lernte sie um 1920 ihren künftigen Mann Alfred Haag kennen, der ebenfalls in einfachen Verhältnissen aufgewachsen war und mit dem sie 1927 die Tochter Eva-Käte bekam. Wegen der schwierigen finanzielle Situation der Familie entschloss sich Haag, 1929 zu ihrem Onkel nach Buenos Aires zu gehen, wo sie als Haushälterin und Kindermädchen arbeitete. Ihre Familie sollten nachkommen, sobald sie das Geld für die Überfahrt verdient hatte. Alfred Haag entschied jedoch, dass er den politischen Kampf in Deutschland weiterführen wollte; daher kehrte sie 1931 wieder nach Deutschland zurück. Nach ihrer Rückkehr ging Alfred Haag für neun Monate zu Ausbildungszwecken in die Sowjetunion und arbeitete nach seiner Rückkehr als Herausgeber für die Süddeutsche Arbeiterzeitung.[5]
Am 10. April 1933 wurde Lina Haag aufgrund ihrer politischen Tätigkeiten verhaftet. Sie kam in die Landesstrafanstalt Gotteszell und wurde am 21. Dezember desselben Jahres entlassen. Lina Haag wurde 1935 vom Leiter der Abteilung „Mediendienst“ Friedrich Mußgay in Gewahrsam genommen und im Polizeigefängnis „Büchsenschmiere“ von ihm verhört. Danach kam sie 20 Monate im Frauenuntersuchungsgefängnis in der Weimarstraße 20, in Stuttgart in Untersuchungshaft. In dieser saß sie unter anderem mit der Kommunistin Liselotte „Lilo“ Herrmann ein, die am 20. Juni 1938 wegen Landesverrats hingerichtet wurde. In der Weimarstraße lernte sie unter anderem Trudl Geßmann, Elisabeth Scholl, Schwester von Hans und Sophie Scholl sowie Paula Löffler und Irmgard Böttinger kennen. Am 24. Januar 1938 wurde Lina Haag dann wegen „Landesverrats“ zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die restlichen vier Monate Haft musste sie wieder in der Frauenhaftanstalt Gotteszell in Schwäbisch Gmünd verbringen. Nach ihrer Haftzeit wurde sie umgehend im Konzentrationslager Lichtenburg in Schutzhaft genommen, wo sie bis April 1939 bleiben musste.[6] Im Lager lernte sie auch Olga Bernario-Prestes kennen, die später ins KZ Ravensbrück verlegt wurde.
Nach ihrer Freilassung schaffte sie es, zu Heinrich Himmler vorzudringen, dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, und sich dort für die Freilassung ihres Mannes Alfred Haag einzusetzen.[7] Haag, 1930 als jüngster KPD-Abgeordneter in den Stuttgarter Landtag gewählt, saß im KZ Mauthausen ein. Lina Haag hatte damit Erfolg. Ihr Mann wurde jedoch an die Ostfront geschickt und kehrte erst 1948 aus einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager zurück.[8] Ab Mai 1944 arbeitete sie als Heilgymnastin in dem zum Lazarett umgewidmeten „Hotel Rießersee“ in Garmisch-Partenkirchen und verfasste dort das Manuskript Eine Hand voll Staub über ihre Erlebnisse aus dem Widerstand und der Verfolgung ab 1933. Nach der Befreiung von Garmisch durch US-Streitkräfte waren im Hotel amerikanische Offiziere untergebracht. Haag traf einen deutschsprachigen Offizier, der für kulturelle Aktivitäten zuständig war, gab ihm ihr Manuskript und wurde von ihm ermutigt, dieses zu veröffentlichen. 1947 konnte das Werk erstmals publiziert werden.[5]
Nach dem Krieg zog sie mit ihrer Tochter nach München und arbeitete als Physiotherapeutin. 1948 kehrte Alfred Haag aus der Kriegsgefangenschaft zurück und arbeitete als Schreiner. Lina und Fred Haag brachten viele Verfolgte des Naziregimes bei sich unter, beispielsweise Oskar Maria Graf, der aus seinem New Yorker Exil nur noch zu Besuchen in Deutschland war. Zusammen mit Albert Lörcher und Jean Landré gründete sie eine Buchhandlung in der Münchner Müllerstrasse, die aber wirtschaftlich keinen Erfolg hatte. Das Ehepaar war auch in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) aktiv.
2007 erhielt sie den Dachau-Preis für Zivilcourage[9].
Auszeichnungen
- 2007: Dachau-Preis für Zivilcourage
Film
- Aug’ in Aug’ mit Himmler. Ein Porträt der Widerstandskämpferin Lina Haag. Berg Film Produktions GmbH (Andreas Lechner), 2005. Drehbuch und Regie: Andreas Gruber
Literatur
- Lina Haag: Eine Hand voll Staub – Widerstand einer Frau 1933 bis 1945. Autobiografie, zuerst Lauf bei Nürnberg 1947. Zahlreiche Auflagen und Ausgaben bis in die Gegenwart, teilweise mit Vorwort von Oskar Maria Graf und Nachwort von Barbara Distel; Übersetzungen u. a. ins Englische (1948), Russische (1981) und Ungarische (1985).
- Barbara Distel: In the shadow of heroes. Struggle and survival of Centa Herker-Beimler and Lina Haag. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Herausgeber): Dachau and the nazi terror 1933–1945. Dachau 2002, S. 143–178.
- Barbara Distel: Lina und Alfred Haag und das KZ Oberer Kuhberg. In: Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm (Herausgeber): Ulm. Die KZ-Gedenkstätte und der Nationalsozialismus. Ulm 2009, S. 132–134.
Weblinks
- Literatur von und über Lina Haag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Virtueller Geschichtsort Hotel Silber Biografische Skizze zu Lina Haag
Belege
- ↑ Staatsarchiv Ludwigsburg E 356 i Bü 2188 (Gefangenenpersonalakte)
- ↑ Markus Springer: Eine Überlebensgeschichte. ( des vom 18. Juli 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: Sonntagsblatt, 6. Mai 2007, abgerufen am 20. Juni 2012.
- ↑ Barbara Distel: Zum Tod der Widerstandskämpferin Lina Haag. In: sueddeutsche.de, abgerufen am 20. Juni 2012.
- ↑ Heiner Jestrabek: Lina Haag * 18. 01. 2007. In: frei denkend selbstbestimmt. 22 Portraits freigeistiger Frauen. Berlin 2007, S. 64–66.
- ↑ a b Eine Handvoll Staub (1947) – Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949. Abgerufen am 1. September 2025.
- ↑ Lina Haag: Eine Hand voll Staub. Hrsg.: Lina Haag. Band 1. Silberburg_Verlag, Tübingen, ISBN 3-87407-581-8.
- ↑ Markus Springer: Lina Haag – Die Frau, die Himmler die Stirn bot | Sonntags. In: Sonntagsblatt. 19. Juni 2024, abgerufen am 1. September 2025.
- ↑ Barbara Hardinghaus: Der Jahrhundertmensch; in: Der Spiegel, Heft 51/2007, 17. Dezember 2007; S. 76; abgerufen am 20. Juni 2012.
- ↑ Broschüre über die Preisträgerin Lina Haag (PDF) ( vom 7. März 2012 im Internet Archive)