Karl Saller

Karl Felix Saller (* 3. September 1902 in Kempten (Allgäu); † 15. Oktober 1969 in München) war ein deutscher Anthropologe und Arzt. Er leistete Beiträge zur Rassentheorie, Konstitutionsforschung und Humangenetik.
Leben
Karl Saller besuchte Schulen in Nürnberg sowie in Regensburg und studierte anschließend Naturwissenschaften und Medizin an der Universität München, wo er 1923 die ärztliche Vorprüfung ablegte. Während seines Studiums wurde er Mitglied des AGV München.[1] 1924 wurde er an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität München im Fach Anthropologie mit einer Arbeit über das Haarpigment bei Mischlingspopulationen zum Dr. phil. und 1926 an der Medizinischen Fakultät mit seiner Dissertation über die Beziehungen zwischen Keimdrüsenfunktion und Skelettmorphologie zum Dr. med. promoviert. Seine akademischen Lehrer in München waren vor allem der Anthropologe Rudolf Martin (1864–1925) und der Anatom Benno Romeis. Anschließend arbeitete er in München als Assistent an der Anthropologischen Staatssammlung. Danach wurde er Wissenschaftlicher Assistent am Anthropologischen Institut der Universität Kiel, wo er sich an der Medizinischen Fakultät 1927 für das Fach Anthropologie habilitierte.[2] Im Jahr 1929 erfolgte eine Umhabilitation an die Universität Göttingen, wo er als Assistent und Privatdozent für Anthropologie am Anatomischen Institut arbeitete. In diesem Zusammenhang führte er in den Jahren 1929/1930 „rassekundliche Messungen“ des menschlichen Schädels in den damaligen ostfriesischen Kreisen Wittmund, Emden und Norden durch. Ziel war es, die „rassische Zusammensetzung der ostfriesischen Bevölkerung“ zu erforschen.[3]
Saller sah menschliche „Rassen“ als biologische Einheiten an, die in Wechselwirkung zwischen Erbe und Umwelt in stetiger Umwandlung begriffen seien.[4] Wie Friedrich Merkenschlager und Walter Scheidt vertrat er einen dynamischen Rassenbegriff.[5] Saller wurde Mitglied der NSDAP.[6] Wegen seiner Ablehnung der nationalsozialistischen Rassenlehre, die im Gegensatz zu seinen Ansichten auf starren Typologien beruhte, wurde ihm 1933 ein Redeverbot erteilt[7] und zum 14. Januar 1935 durch Reichsminister Bernhard Rust die Lehrbefugnis gemäß § 18 der Reichshabilitationsordnung entzogen.[8] Der Chef der Kanzlei des Führers, Philipp Bouhler, schrieb am 30. August 1935 dazu: „Sie haben seit langer Zeit, teils in wissenschaftlichen, teils in populären Veröffentlichungen, über Rassenfragen eine Haltung eingenommen, die den Anschauungen über Rasse und Rasenkunde sowohl der Bewegung als auch führender Wissenschaftler widerspricht.“[9] Danach gründete Sailer 1937 mit seiner Frau Herta Saller (1910–1999) in Badenweiler das Privatsanatorium Saller als Sanatorium für innere Erkrankungen und praktizierte dort.
Im Zweiten Weltkrieg war Karl Saller als Truppenarzt eingesetzt. Nach Kriegsende erfolgte 1946 seine Rehabilitation durch die Medizinische Fakultät in Göttingen, und Saller habilitierte sich an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München für das Fach Anatomie einschließlich Anthropologie und Konstitutionslehre um.[10] Er wurde ärztlicher Direktor des Robert-Bosch-Krankenhauses (RBK) in Stuttgart, wo er sich aber bald, unter anderem aufgrund steigender Zahl akut kranker Patienten, von der dort vorrangig praktizierten homöopathischen Behandlung abwandte. Er wurde 1949 entlassen, weil es „mangelnde Übereinstimmung zu grundsätzlichen ärztlichen Fragen gegeben habe“, das „Vertrauensverhältnis zwischen Saller und dem RBK erschüttert sei“ und „Saller ohne Zustimmung eine Professur in München angenommen habe“.[11]
Ab 1948 lehrte Karl Saller als Nachfolger Theodor Mollisons und ordentlicher Professor für Anthropologie und Humangenetik an der Universität München in der Naturwissenschaftlichen Fakultät. Er baute in den folgenden Jahren das in der Richard-Wagner-Straße gelegene Institut mit der Anthropologischen Staatssammlung und der im Krieg vernichteten Bibliothek neu auf.[12]
Von 1945 bis 1948 war Saller Schriftleiter der Zeitschrift Hippokrates – Zeitschrift für praktische Heilkunde und von 1949 bis 1969 der Zeitschrift Die Heilkunst.[13] Zur „25. Jahrfeier des Bestehens des Stuttgarter Homöopathischen Krankenhauses“, das inzwischen „Robert-Bosch Krankenhaus“ hieß, suchte er mit einem Vortrag über „die Spurenelemente in homöopathischer Anwendung“ eine Brücke zwischen Homöopathie und Ernährungswissenschaft zu schlagen.[14] Anders als von Friedrich Hüter angedeutet,[15] zählte Saller das „Fluor“, das im Roggen- aber nicht im Weizenmehl vorkomme[16] und „im Aufbau der Zähne und Stützsubstanzen eine gewisse Rolle“ spiele, dabei nicht zu den „anorganischen Vitaminen“ (Fe, Cu, Mn, Zn), widmete dem Element aber bald mehr Aufmerksamkeit. Am 8. April 1951 hielt Saller auf der Bionomischen Vortrags- und Arbeitswoche 1951 für Volksgesundheit und Nahrungserzeugung in Tutzing einen Vortrag zum Thema „Biologischer Nahrungswert, Ernährungsphysiologie und Heilfaktor.“[17] Als Vorsitzender des Bundesverbands deutscher Ärzte für Naturheilverfahren[18] organisierte er in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Ernährungsbiologie und der Interessengemeinschaft für Ernährung (Vorsitzender: Wilhelm Heupke) einen Ernährungskongress in München (Gesundes Land – Gesundes Leben, vom 22. bis 25. September 1952).[19] Dort nahm das Thema Zahnkaries einen breiteren Raum ein, weil sich hier Zusammenhänge mit der Ernährung sowohl als Ursachen wie auch als Präventionsoptionen (z. B. Fluorid-Anwendung) zahlenmäßig präsentieren lassen.[20][21][22][23] Während sich Saller zwar zur Zivilisation und denaturierten Kost äußerte, wandte er sich gegen ein Zurück zur Natur, weil es „nach dem Wesen des Menschen und im heutigen Stadium der Entwicklung von Kultur und Zivilisation ein solches Zurück nicht mehr gibt, sondern die Devise heute nur 'Mit der Natur weiter in der menschlichen Kultur' lauten kann.“[24][25] Am Ende des Münchner Ernährungskongresses wurde eine Resolution gefasst, die die Zusammenarbeit der beteiligten Gesellschaften beschwor,[26] die dann die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gründeten.[27] Saller gehörte dem Kuratorium der 1959 gegründeten Deutsch-Israelischen Studiengruppe München an.[28]
Karl Saller war Vater von vier Kindern.
Schriften
Karl Saller schrieb mehrere Bücher und veröffentlichte fast 400 Arbeiten in Zeitschriften.
- Die Entstehung der „nordischen Rasse“. Habilitationsschrift.[29] Veröffentlicht In: Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. 83, 4 (1927), S. 411–590.
- Leitfaden der Anthropologie. Springer, Berlin 1930.
- Einführung in die menschliche Erblichkeitslehre und Eugenik. Springer, Berlin 1932.
- Thyreotoxikose, Basedow und Kropf. Haug, Berlin–Saulgau 1948
- Kampf dem Hunger. Eine Aussprache. Hippokrates, Stuttgart 1948
- Art- und Rassenlehre des Menschen. Schwab, Stuttgart 1949.
- Angewandte Anthropologie. Schwab, Stuttgart 1951.
- Volksmedizin und ausserschulgemässe diagnostische und therapeutische Methoden. Haug, Saulgau 1951.
- (Hrsg.): Gesundes Land – Gesundes Leben. 22 Vorträge einer gemeinsamen Tagung von Landwirten, Biologen und Ärzten. Pflaum, München 1953
- Lehrbuch der Anthropologie in systematischer Darstellung. Begründet von Rudolf Martin. G. Fischer, Stuttgart 1956–1966.
- Das Menschenbild der naturwissenschaftlichen Anthropologie. Dobbeck, Speyer, München 1958.
- Die Rassenlehre des Nationalsozialismus in Wissenschaft und Propaganda. Progress, Darmstadt 1961.
- (Hrsg.): Das Geheimnis der Menschwerdung. Unter Mitarbeit von Heinz Mergarten. Schmitz, München 1964.
- (Hrsg.): Sexualität heute. Nymphenburger Verlagshandlung, München 1967.
- (Hrsg.): Rassengeschichte der Menschheit. Oldenbourg, München, Wien 1968.
- (Hrsg.): Ganzheitsmedizin und Naturheilverfahren. Günther, Stuttgart 1968.
- Rassengeschichte des Menschen. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1969.
Literatur
- Tadeusz Bielicke u. a.: Anthropologie und Humangenetik. Festschrift zum 65. Geburtstag von Karl Saller. Hrsg. vom Institut für Anthropologie und Humangenetik der Universität München. Fischer, Stuttgart 1968. (Inhalt)
- Andreas Lüddecke: Der „Fall Saller“ und die Rassenhygiene. Eine Göttinger Fallstudie zu den Widersprüchen sozialbiologistischer Ideologiebildung. Tectum, Marburg 1995, ISBN 3-89608-918-8.
- Anikó Szabó: Vertreibung, Rückkehr, Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialismus. Mit einer biographischen Dokumentation der entlassenen und verfolgten Hochschullehrer: Universität Göttingen – TH Braunschweig – TH Hannover – Tierärztliche Hochschule Hannover. Dissertation. Universität Hannover 1998. Wallstein, Göttingen 2000, ISBN 3-89244-381-5, S. 172ff. (Veröffentlichungen des Arbeitskreises Geschichte des Landes Niedersachsen (nach 1945). Band 15), (Google books).
- Thomas Faltin: Homöopathie in der Klinik: die Geschichte der Homöopathie am Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus von 1940–1973. Haug, Stuttgart 2002, ISBN 3-8304-7153-X, S. 379ff. (Google books)
- Gerfried Ziegelmayer, Friedrich Schwarzfischer: Karl Saller, 1902–1969. Nachruf. In: Anthropologischer Anzeiger. 32, 3/4, 1970, S. 287–288 (JSTOR:29538457).
- Gerfried Ziegelmayer: Saller, Karl Felix. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 378 f. (Digitalisat).
- Gerfried Ziegelmayer: 100 Jahre Anthropologie in München. In: Würzburger medizinhistorische Schriften. Band 5, 1987, S. 245–269, hier: S. 258–263.
- Volker Zimmermann: Die Medizin in Göttingen während der nationalsozialistischen Diktatur. In: Würzburger medizinhistorische Schriften. Band 9, 1991, S. 393–416; hier: S. 403–405.
Weblinks
- Literatur von und über Karl Saller im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Das Privatsanatorium Saller ( vom 19. Mai 2009 im Internet Archive)
Einzelnachweise
- ↑ Verband Alter SVer (VASV): Anschriftenbuch und Vademecum. Ludwigshafen am Rhein 1959, S. 105.
- ↑ Gerfried Ziegelmayer, Friedrich Schwarzfischer: Karl Saller, 1902–1969. Nachruf. In: Anthropologischer Anzeiger. 32 3/4, 1970, S. 287–288; hier S. 287 (JSTOR:29538457).
- ↑ Rassekundliche Messungen in Ostfriesland. Aus dem Ostfriesischen Kurier. In: Jeversches Wochenblatt. 13. Oktober 1930, S. 6 (online).
- ↑ Gerfried Ziegelmayer: 100 Jahre Anthropologie in München. In: Würzburger medizinhistorische Schriften. Band 5, 1987, S. 245–269, hier: S. 260.
- ↑ Ute Felbor: Rassenbiologie und Vererbungswissenschaft in der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg 1937–1945 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Beiheft 3). Königshausen & Neumann, Würzburg 1995, ISBN 3-88479-932-0, S. 115 (zugleich Dissertation. Universität Würzburg 1995, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Bernhard vom Brocke: Bevölkerungswissenschaft im nationalsozialistischen Deutschland. In: José Brunner (Hrsg.): Demographie – Demokratie – Geschichte. Deutschland und Israel. Wallstein, Göttingen 2007, ISBN 978-3-8353-0135-1, S. 157 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Stine Marg, Katharina Trittel, Bonnie Pülm: Weißkittel und Braunhemd: Der Göttinger Mediziner Rudolf Stich im Kaleidoskop. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 978-3-525-30056-5, S. 216 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Anikó Szabó: Vertreibung, Rückkehr, Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialismus. Wallstein, Göttingen 2000, S. 635.
- ↑ Kurt Pätzold (Hrsg.): Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung. Dokumente des faschistischen Antisemitismus 1933 bis 1942. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1983, Reclams Universalbibliothek 1008.S. 105
- ↑ Gerfried Ziegelmayer: 100 Jahre Anthropologie in München. In: Würzburger medizinhistorische Schriften. Band 5, 1987, S. 245–269, hier: S. 258–260.
- ↑ Thomas Faltin: Homöopathie in der Klinik: die Geschichte der Homöopathie am Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus von 1940–1973. Haug, Stuttgart 2002, ISBN 3-8304-7153-X, S. 224 (Google books)
- ↑ Gerfried Ziegelmayer: 100 Jahre Anthropologie in München. In: Würzburger medizinhistorische Schriften. Band 5, 1987, S. 245–269, hier: S. 260–263.
- ↑ Gerfried Ziegelmayer: Saller, Karl. In: Neue Deutsche Biographie. 22, 2005, S. 378–379 (online), abgerufen am 21. August 2025.
- ↑ Karl Saller: Die Spurenelemente in homöopathischer Anwendung. In: Hippokrates - Zeitschrift für praktische Heilkunde. Band 17, Sonderheft Zur 25. Jahrfeier des Bestehens des Stuttgarter Homöopathischen Krankenhauses, 11. September 1946, S. 26–36.
- ↑ Friedrich Hüter: Zur Biochemie der Schilddrüsenfunktion VII. Anzeichen der tierexperimentellen E-Hypervitaminose. In: Zeitschrift für Naturforschung. Band 2b, 1947, S 414–419, hier S. 418, Fußnote 22 (online).
- ↑ vgl. Hermann Schröder: Studie über die Bedeutung des Brotes, insbesondere des Vollkornbrotes für die Gesunderhaltung des Gebisses. In: Deutsche Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Band 8, Nr. 9, September 1941, S. 469–491
- ↑ Karl Saller: Biologischer Nahrungswert, Ernährungsphysiologie und Heilfaktor. In: Die Medizinische. Nr. 5, 2. Februar 1952, S. 141–145
- ↑ Andreas Lüddecke: Der 'Fall Saller' und die Rassenhygiene. Eine Göttinger Fallstudie zu den Widersprüchen sozialbiologistischer Ideologiebildung. Tectum, Marburg, 1995, S. 97
- ↑ Gesundes Land – Gesundes Leben. IN: Bayerisches Ärzteblatt. Band 7, Nr. 8, August 1952, S. 118
- ↑ Karl Saller: Sind Land und Leben krank? In: Gesundes Land – Gesundes Leben., S. 11
- ↑ Hans-Diedrich Cremer: Ernährung und Karies. In: Gesundes Land – Gesundes Leben. S. 167
- ↑ Karl Quentin: Die Bedeutung des Elementes Fluor als Bestandteil natürlicher Wässer. In: Gesundes Land – Gesundes Leben. S. 181
- ↑ E. Schmidt: Lebendige Kost. (Kariesprophylaxe durch Ernährung). In: Das deutsche Zahnärzteblatt. Band 8, 1954, S. 572
- ↑ Karl Saller: Naturgemäße Ernährung. In: Deutsche Zahnärztl. Zeitschrift Band 7, Nr. 17, 1952, S. 967–976
- ↑ Karl Saller: Karies als Symptom. In: Deutsche Zahnärztl. Zeitschrift Band 10, 1955, S. 148–158
- ↑ Karl Saller: Vorwort. In: Gesundes Land – Gesundes Leben. S. 9–10.
- ↑ Jörg Melzer: Vollwerternährung. Diätetik, Naturheilkunde, Nationalsozialismus, sozialer Anspruch. Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, MedGG–Beihefte 20, Franz Steiner, Stuttgart 2003, S. 289
- ↑ Jonas Hahn: Die Deutsch-Israelischen Studiengruppen und die frühen studentischen Kontakte mit Israel 1948–1972. Wallstein, Göttingen 2025, ISBN 978-3-8353-5869-0, S. 144.
- ↑ Eintrag bei SpringerLink, abgerufen am 16. September 2022.